Logopädin bei der Therapie mit einer Patientin.
Patienten aus der Logopädie spielen gemeinsam Wortspiel.
Patient aus der Logopädie übt mit Wortkarten.

Therapeutische Sprachgestaltung

Sprache ist ein wichtiges Element der Kommunikation und wird in der Anthroposophischen Medizin therapeutisch genutzt

Sprache ist eines der wichtigsten Mittel zwischenmenschlicher Kommunikation. Sie ist stark mit unserem Selbstgefühl verbunden und weit mehr als Informationsmedium: In der Sprache drückt sich die ganze Persönlichkeit aus. Jeder Mensch hat seine eigene Stimme, eine individuelle Sprachmelodie und Artikulation. An jedem Wort ist er mit seinem ganzen Sein beteiligt. Er verleiht Gedanken und Gefühlen mit Hilfe der Stimme Ausdruck. Im Sprechen teilen wir uns den anderen mit. Alltagssprache dient der Vermittlung von Information – aber wie klingt sie? Wird hörbar, was ich fühle, was ich erlebe, was ich will – Freude, Trauer, Zartheit, Kraft, Entschlossenheit? Erscheinen die Worte in ihrer lautmalerischen Qualität?

Gaumen, Zunge, Lippen und Zähne bilden gemeinsam die Laute, die den Luftstrom zu Worten formen. Konsonanten geben der Sprache Festigkeit und Kraft, Vokale dagegen werden vorwiegend von der Stimme moduliert und drücken de Innenwelt aus, die seelische Stimmung: A das Staunen, E die Selbstbestimmung, I die Abwehr, O die Verwunderung, U die Furcht, Au den Schmerz und Ei die Zärtlichkeit. Konsonantenreiche Texte wirken deshalb eher formgebend und verfestigend, während vokalreiche vor allem die Gefühlsebene unterstützen und entspannend wirken. Gesten können die Intention des Sprechens noch verstärken.

Das alles geschieht im Wechsel von Ein- und Ausatmung – Sprache ist gestaltete Ausatmung! Die Atmung spielt bei Sprechen deshalb eine besondere Rolle.

Die von der Schauspielerin Marie Steiner und ihrem Mann, Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie, entwickelte therapeutische Sprachgestaltung arbeitet mit all diesen Elementen. Um zu erfassen, was einer/einem Patientin/Patienten fehlt, lässt der/die Sprachtherapeut*in einen Text sprechen oder vorlesen und achtet dabei besonders auf Haltung, Atmung, Stimme, Artikulation sowie Konzentrationsvermögen und Verständnis. Auf dieser Grundlage können dann gezielt Schwächen behandelt werden.

Ergänzend beeinflusst der Rhythmus eines Textes oder das Versmaß eines Gedichts die Atmung. Lyrik im Hexameter beispielsweise verstärkt die Harmonie von Puls und Atmung im idealen natürlichen Verhältnis von 1:4 (18 Atemzüge auf 72 Pulsschläge) und wirkt sich so stabilisierend und gesundend auf die Rhythmen von Herz und Kreislauf aus. Eine Erkenntnis, die u.a. auf Forschungsarbeiten am Gemeinschaftskrankenhaus zurückgeht.

Die Einheit von innerem Erleben und Ausdruck aufzusuchen, führt in den künstlerischen Prozess. Die eigene Sprache zu ergreifen, bildet aber auch ein erhöhtes Maß an intentionaler und individueller Gestaltungsfähigkeit. Darüber hinaus wirken Laute, Rhythmen, Bilder der Sprache über die Atmung und die Wärme heilend auf den ganzen Menschen zurück. Dichtung eröffnet vergessene und neue Bereiche unseres Menschseins. Im Umgang mit Lauten, Rhythmen, Sprachspielen und -übungen, mit Prosatexten und Gedichten, mit Körperhaltung, Bewegung und Geste kann ein neuer, gekräftigter und belebter Umgang mit sich selbst und der Welt erübt werden.

Die therapeutische Sprachgestaltung ermöglicht nicht nur die Behandlung von Sprach- und Sprechstörungen, sondern ebenso den gezielten Umgang mit unterschiedlichsten Krankheiten im internistisch-allgemeinärztlichen sowie im psychosomatischen, psychiatrischen und heilpädagogischen Bereich, da sie grundlegend in das Verhältnis von Körper, Seele und Geist eingreift.